Expression und Farbe

Einführung von Dirk Meyer

Wenn man die zumeist großformatigen Arbeiten Gabi Onnens betrachtet, die oftmals Wolken, Wellen oder Landschaften darstellen, ist man beeindruckt von der Sicherheit des Pinselstriches, der überzeugenden Handhabung der Farbmaterie und vor allem der expressiven Farbigkeit, in der die Motive dargestellt werden. Doch gerade Letztere ist erst in jüngster Zeit zu einem wichtigen Ausdrucksmittel der Künstlerin geworden.

„Zeichne, Antonio, zeichne und verliere keine Zeit“ dieser Ausspruch Michelangelos, mit dem er einen Schüler motivieren wollte, ist auch für Gabi Onnen von großer Bedeutung. In der Kindheit begann sie zu zeichnen und es entstanden über die Jahre hinweg monochrome Arbeiten, in denen sie ihr zeichnerisches Können schulte und sich mit der menschlichen Physiognomie beschäftigte. Fasziniert von den Möglichkeiten des mimischen Ausdruckes fokussiert sie sich auf die Sinnesorgane des Menschen, denen die stärkste Ausdrucksmöglichkeit gegeben ist: auf die Augen, die „Spiegel der Seele“, welche maßgeblich für den Eindruck verantwortlich sind, den wir von unserem Gegenüber erlangen. Gabi Onnen zeichnet Augenpartien. Vor allem die charakteristische Augenpartie Oskar Kokoschkas zeigt, wie stark man das Motiv des Gesichtes reduzieren kann, ohne dabei Einbußen an Ausdrucksmöglichkeiten in Kauf nehmen zu müssen.

Die Augen Kokoschkas, 1973
Bleistift auf Papier,
21 x 24 cm

Während ihres Studiums der Kunst/Visuellen Kommunikation in Oldenburg erhält sie die Aufgabe, eine kleine Fotografie eines Oldtimers der Marke „Lagonda“ in Bleistift um ein Vielfaches zu vergrößern. Die dabei auftretenden zeichnerischen Schwierigkeiten, so zum Beispiel die Darstellung des spiegelnden Autolackes, das Metallische des Kühlergrilles oder die Lichtbrechung in der Streuscheibe des Scheinwerfers führt sie mit meisterlicher Beherrschung des Handwerks aus. Die verschiedenen Texturen der Materialien faszinieren die Künstlerin, die sich im Rahmen ihres Studiums auch mit Arbeitslehre, Polytechnik und dem handwerklichen Arbeiten mit unterschiedlichsten Rohstoffen beschäftigen muss.

Die Augen Kokoschkas, 1973
Bleistift auf Papier,
21 x 24 cm

Um 2005 herum findet Gabi Onnen Zeit, sich intensiv mit den Möglichkeiten des Aquarells auseinanderzusetzen. Erst zu diesem Zeitpunkt tritt die Farbe in ihre Arbeiten. Die Aquarelle entstehen auf stark gewässertem Papier und werden in kürzester Zeit gemalt. Die Unwägbarkeiten dieser Technik, die von Emil Nolde als „Mitarbeit der Natur“ bezeichnet wurden, erforscht sie mit dem Pinsel. Da bei der spontanen Malerei mit den Wasserfarben kaum Korrekturen möglich sind, muss jeder Strich, jede Farbfläche beim ersten Mal sitzen. Die stetige Verdunstung des Wassers bringt ein sich veränderndes Verhalten der Farbe mit sich. So entstehen farbstarke, spontane Darstellungen des menschlichen Gesichtes, Gefühlsbilder, die einen Moment des Lebens einfangen und in ihrer Summe den Reichtum menschlichen Empfindungsvermögens abbilden.

Lagonda, 1976
Bleistift auf Papier,
30 x 45 cm

Dabei dient als Inspiration nicht selten eine Fotografie oder ein Zeitungsausschnitt, die einen bestimmten Ausdruck oder eine Haltung zeigen, von der sich Gabi Onnen allerdings während des Malens entfernt, um die Betonung auf die auch durch die Aquarelltechnik bedingte Stimmung zu legen, die während des kreativen Schaffensprozesses entsteht. Sie improvisiert über das Motiv. Auch die in Acryl entstandenen Frauenakte und Portraits sind weniger als neutrale Darstellungen zu betrachten, sondern Gabi Onnen arbeitet die von ihr als charakteristisch empfundenen Merkmale heraus, um die Persönlichkeit der dargestellten Personen verstärkt darzustellen. In ihren Akten sehen wir selbstbewusste Frauen, die in sich zu ruhen scheinen. Dabei verwendet sie oft an den Expressionismus erinnernde reine Farben und starke Komplementärkontraste, die die emotionale und individuelle Visualisierung der Modelle steigern.

Strukturen spielen im Werk Gabi Onnens eine besonders große Rolle. In der Zeit ihres Studiums beschäftigt sie sich mit der Fotografie. Die Textur der Dinge gerät in das Zentrum ihrer Betrachtung. Ihre Motive sind abstrakt, sie lichtet gefundene Strukturen ab. Leider sind diese Fotografien nicht mehr erhalten, die Faszination für abstrahierte Be- schaffenheiten der Natur ist im Werk der Künstlerin jedoch noch heute vorhanden.

Immer wieder malt Gabi Onnen Wolkenbilder, großformatige, beeindruckende Abstraktionen aus vorwiegend blauen und weißen Farben. Das ewig wiederkehrende, sich immer ähnelnde, aber niemals sich wiederholende Spektakel am Himmel fasziniert die Künstlerin. Wolken in ihrer sich stetig ändernden Form beflügeln seit Jahrhunderten die Phantasie der Menschen, man projiziert un- willkürlich Dinge in die Himmelserscheinungen, man kann Gesichter und Dinge erkennen, sogar Geschichten in den Wolken lesen, wenn man möchte. August Pauly bezeichnete die Wolken gar als die „Schauspieler der Lüfte“. Der Himmel mit seinen wechselnden Erscheinungen bietet Gabi Onnen ein immer neues, frisches Motiv.

Die geradezu immateriellen Wolken, die nicht greifbar sind, sondern nur aus grosser Entfernung als solche erscheinen, werden von Gabi Onnen mit Acryl auf Leinwand gebannt. Dabei schöpft sie aus dem Möglichkeiten der Leinwandmalerei, den Möglichkeiten, die das Medium der Farbe bietet und schichtet zarte Lasuren oder pastose Pinselstriche übereinander, um das nicht Greifbare greifbar zu machen. Fein ausgearbeitete Details stehen neben grober Pinselführung. So entstehen abstrakte, atmosphärisch dichte Darstellungen des Himmels, die uns die erhabene Schönheit der natürlichen Strukturen vor Augen führen. Aber Gabi Onnen stellt auch in Frage, von welchem Punkt aus wir diese Wolken betrachten. Da wir in ihren Bildern nicht immer geographische Anhaltspunkte besitzen, müssen wir selbst entscheiden, ob wir dieses Naturphänomen von oben, aus dem Flugzeug betrachten, oder demütig gen Himmel schauen. Die Arbeit „Blick durch die Wolken“ verdeutlicht diese Fragestellung.

Ähnlich wie mit den Wolken verhält es sich mit Wasser und Wellen, einem weiteren Motivkomplex, der sich durch das Werk Gabi Onnens zieht. Auch hier gibt es die permanente Veränderung, Dynamik in sogar noch höherem Maße als bei den Wolken. Auch hier zeigt die Natur sich in Strukturen: die Gischt kann als grafisches Element gelesen werden. Gabi Onnen überquerte segelnd im Jahr 2000 den Atlantik. Oftmals entsteht während einer solchen Reise eine gewisse Langeweile, aus- gelöst durch Monotonie, da tagelang nichts weiter zu sehen ist als viel Horizont und Wasser. Diese Gefahr bestand bei Gabi Onnen nicht, da sie die Ästhetik des Meeres, die sich in diversen Spielarten von spiegelglatter See, ruhigen, großen Wellen bis zu dramatischem Wellengang und in leichter Changierung der Meeresfarbe zeigen kann, bewusst wahrnimmt und in ihren Wellenbildern verarbeitet. Auch hier findet sich in den Arbeiten eine hohe atmosphärische Dichte, vor allem gelingt es Gabi Onnen aber, die Dynamik des Meeres, die sich ja eben durch die Veränderung charakterisiert, in die unbewegliche, zweidimensionale Momentaufnahme der Malerei zu übertragen. Dabei geht sie spielerisch mit dem Medium der Farbe um und fügt – wie auch bei den Wolkenbildern – immer wieder farbige Akzente ein, einen Ockerton, ein Grün, ein Rot – die das kalte Farbspektrum des Bildes brechen und den Arbeiten einen besonderen visuellen Reiz verleihen.

In den Landschaftsbildern Gabi Onnens findet man vor allem die norddeutsche Landschaft wieder. Ein Himmel, der auch mal etwas dramatischer sein darf, weite Horizonte, die See mit in das Bild hereinragenden Landzungen oder Felder, die zu Farbflächen zusammengezogen werden und in ihrer Farbigkeit an blühende Raps-, Mohnoder Heidekulturen erinnern. Die sichere und dynamische Pinselführung und der pastose Farbauftrag laden förmlich zu einer reinen Erfahrung der durch das Wirken des Menschen schwer ange- schlagenen Natur ein.

Aber nicht nur die reine, vom Menschen unbe- rührte Natur findet sich in den Arbeiten Gabi Onnens, sondern auch Darstellungen der Stadt. Eine Reihe von Oldenburger Ansichten ist im Laufe der Zeit entstanden, hervorzuheben ist die Panoramaansicht „Raps vor Oldenburg“, in der die Künstlerin prominente Gebäude wie in einer Collage zu einer Skyline vereint. Aufgrund der Verdichtung der wiedererkennbaren Architektur entsteht ein konzentriertes Bild der Stadt. Der Betrachter wird durch das Rapsfeld im Vordergrund, welches auch als „Meer aus Gelb“ gelesen werden kann, auf Distanz gehalten.

Die Potsdamer Zichorienmühle findet sich auch unter den Motiven Gabi Onnens wieder. In diesem mittlerweile als Restaurant genutzten Traditionsgebäude wurde bei einer Renovierung eine Kontaminierung des Bodens mit Kadmium festgestellt. Gabi Onnen reagiert bei ihrer Darstellung darauf, indem sie das Wasser des „Tiefen Sees“, an dessen Ufer sich die Mühle befindet, mit Kadmiumrot gestaltet.

So überzeugen die Arbeiten Gabi Onnens nicht nur aufgrund ihrer intensiven Farbigkeit oder der Souveränität des Pinselstriches. Sie sind zum Teil auch als Stellungnahmen zu lesen. Dirk Meyer, Kunstvermittler